Bei vielen Materialien ist es egal, in welcher Richtung man es belastet. Bei einer Stahlplatte ist es egal, ob man in Länge- oder Querrichtung zieht. Bei gleichen Abmessungen in beiden Richtungen sind auch die Spannungen bzw. Dehnungen gleich.
Es gibt aber auch viele Materialien, die sich anders verhalten. Holz, der älteste Baustoff der Menschheit, ist ein gutes Beispiel dafür. Längs der Faser ist er wesentlich steifer als quer zur Faser. Das heißt, dass der E-Modul richtungsabhängig ist. Die Eigenschaften sind anisotrop. Die Richtung der größten Steifigkeit und die Richtung der kleinsten Streifigkeit stehen rechtwinklich aufeinander. Diese besondere Eigenschaft der Anisotropie nennt man Orthotropie.
Auch einige moderne High-Tech-Materialien verhalten sich orthotrop, so zum Beispiel viele Faserverbundwerkstoffe. Bei Kohlenstofffaser verstärkten Kunststoffen wird die richtungsabhängige Steifigkeit gezielt durch die Ausrichtung der Kohlefasern hervorgerufen.
Kurz zusammengefasst lässt sich orthotropes Material so definieren:
Material ist dann orthotrop, wenn die Steifigkeit in eine Richtung anders als in der rechtwinklig dazu stehenden Richtung ist.
Für orthotropes Material können die klassischen Vergleichsspannungshypothesen nicht oder nur mit Einschränkungen verwendet werden. Es sind spezielle Festigkeitshypothesen wie z. B. Goldenblat-Kopnow, Tsai-Hill, Hoffmann, Tsai-Wu oder Wu-Scheublein notwendig.